Jesus predigt. Er spricht zum Volk und zu seinen Jüngern, und zwar über die „Schriftgelehrten und Pharisäer“, die „auf dem Stuhl des Moses sitzen“, wie er es formuliert. D.h. also: über die religiösen Autoritäten von damals. Man soll zwar auf sie hören, wenn sie den Glauben verkünden, obschon ihre Gesinnung, ihre Einstellung falsch ist. Jesus übt da eine scharfe Kritik.
Er wirft den geistlichen Leitern Fehlverhalten vor: Sie tun selbst nicht, was sie predigen, sie legen den Menschen schwere gesetzliche Verpflichtungen auf und halten sich selbst nicht daran, sie wollen nur von den Menschen geehrt werden, wollen bei öffentlichen Veranstaltungen Ehrenplätze einnehmen. Selbst durch ihre Kleidung wollen sie sich von anderen unterscheiden. Sie lassen sich gerne „Lehrer“ nennen, das heißt: sie betrachten sich selbst als Personen, die „alles wissen“, und deswegen „über dem Volk“ stehen. Wenn wir diese ganze Haltung in der Sprache von heute formulieren, dann würden wir sagen, das ist reiner „Klerikalismus“: Ein Wort, das auch unser jetziger Papst Franziskus oft verwendet, wenn er die heutige Geistlichkeit in der Kirche warnen will.
In der heutigen ersten Lesung gibt Paulus ein Anti-Bild dazu. Er sagt zu der christlichen Gemeinde von Thessaloniki, die er selbst gegründet hat: „Ich hatte eine solche Zuneigung zu euch, dass ich bereit war, nicht nur Gottes Gute Nachricht mit euch zu teilen, sondern auch mein eigenes Leben. Ich habe keine Mühe gescheut. Während ich euch Gottes Gute Nachricht verkündete, habe ich Tag und Nacht für meinen Lebensunterhalt gearbeitet, um niemand von euch zur Last zu fallen. Ich freue mich, dass ihr euch Gottes Worte (nicht meine!) zu Herzen nehmt.“ Paulus liebt seine Mitchristen. Das ist seine Einstellung ihnen gegenüber und das ist eine andere als die Einstellung der Schriftgelehrten und Pharisäer, die Jesus hier anprangert.
Die heutigen Worte von Jesus sind also an erster Stelle an alle heutigen Geistlichen und kirchlich Verantwortlichen gerichtet. Aber nicht nur, denn Jesus sagt dann weiter zum Volk und zu seinen Jüngern: „Ihr sollt euch nicht ‚Meister‘ nennen lassen, euch nicht erhaben übereinander fühlen. Ihr seid Brüder und Schwestern. Ihr sollt einander auf gleicher Augenhöhe begegnen.“ Und der Evangelist Matthäus fügt hinzu: „Die letzte Autorität für euch ist Jesus Christus. Er ist euer Lehrer und Meister.“ Und deswegen: Der Größte von euch - der höchste religiöse Verantwortliche - soll euer Diener sein, soll für euch da sein, um euch zu helfen, im Sinne Jesu, im Sinne Gottes zu leben. So hat es auch Paulus verstanden.
„Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“ Vom großen Papst Johannes XXIII., der das Zweite Vatikanische Konzil zusammenrief, wird erzählt, dass er, vor einem Spiegel stehend, zu sich selbst sagte: „Giovanni, nimm dich nicht so wichtig“. Nimmt euch selbst nicht zu wichtig, egal in welcher Position ihr seid. In den Augen Gottes ist nur wichtig, wer für andere da ist, jeder auf seine Art und nach seinen Möglichkeiten.
In einer christlichen Glaubensgemeinschaft soll es kein Oben und Unten im Zusammenleben geben. Jeder Christ lebt unter dem Wort und Anspruch Gottes. Nur Gott ist Meister, Lehrer und Vater aller.